Tag des offenen Denkmals 2014

Tag des offenen Denkmals 2014

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Vorwort – Der Tag des offenen Denkmals 2014 “in Farbe”

Kultur und Geschichte zum Anfassen: das bietet der Tag des offenen Denkmals, ein Ereignis, das in Deutschland jährlich im Herbst wiederkehrt. Über 7000 Denkmale in gut 2.500 Städten und Gemeinden öffnen ihre Türen und locken etwa 4 Millionen Kulturbegeisterte zum Besuch an. In 2014 steht der Tag unter einem Motto, das schon immer eine besondere Rolle in der Kultur gespielt hat: Farbe. Farbe vertreibt den Einheitslook und schafft Lebensfreude. Dessen waren sich Menschen schon immer bewusst. Doch jedes Zeitalter hat seine eigene, typische Farbpalette. Daher verraten uns Farben viel über die Geschichte von Denkmälern. Sie dokumentieren handwerkliche Traditionen oder historische Materialien. Und in Gemälden verraten uns Farben sogar etwas über die Menschen in der Zeit als die Werke entstanden.

Detmolder Malerschule der Gebrüder Willer am Hermannsdenkmal (25. Jan 1926)
Detmolder Malerschule der Gebrüder Willer am Hermannsdenkmal (25. Jan 1926)

Wir berichten über eine unerwartete Berührung mit der Geschichte am Tag des Offenen Denkmals in der reizenden Stadt Detmold. Die Residenz der lippischen Fürstenfamilie liegt direkt am Teutoburger Wald im Nordosten von Nordrhein-Westfalen. Sie ist durch ihr Schloss, das Freilichtmuseum, die Musikhochschule, das Landestheater sowie das Hermannsdenkmal  bekannt. Etwa 25 Besucher sammeln sich neugierig an dem Kulturdenkmal „Farbenfabrik und Malerschule der Gebrüder Willer“. Viel ist ihnen über die Hintergründe dieses Denkmals nicht bekannt. Die Besucher werden freundlich in Empfang genommen und überrascht: neben Wolfgang Altemeier, dem heutigen Besitzer des heutigen Malergeschäftes Johann Willer GmbH, stellt sich die Urenkelin der Willers, Christiane Hucke, vor. Anhand von bis dahin unveröffentlichtem Material berichtet sie über ihre Vorfahren, deren bewegte Geschichte und Lebenswerk. Für einen Moment wird die Geschichte dieses besonderen Ortes wieder lebendig.

Die Willers – Geschichte einer lippischen Unternehmerfamilie

Die Häuser mit den Nummern 2, 4, 6, 8, 10 und 12 an der Lageschen Straße in Detmold bezeugen noch heute den Höhepunkt des Erfolgs der lippischen Unternehmer und Künstler August und Johann Willer. Den Brüdern war ihre Zukunft nicht in die Wiege gelegt. Als junge Burschen verließen sie den kleinen Bauernhof ihrer Eltern, um das Malerhandwerk zu erlernen. Durch Talent, Tatkraft und Geschäftssinn gelangten sie zu ansehnlichem Erfolg. Getrübt wird dieser Erfolg jedoch angesichts der Ereignisse in der Zeit des Nationalsozialismus, durch den sich auch die beiden Brüder verführen ließen. Der Werdegang der Gebrüder Willer ist nicht nur eine interessante Lebensgeschichte. Es spiegelt sich darin die lippische und die Deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts wieder.

Spurensuche

Das ehemalige Unternehmensgelände der Willers ist für Besucher leicht zu finden. Es liegt fast zentral in Detmold, unmittelbar an der Lageschen Straße, kurz bevor diese auf Lemgoer- und Paulinenstraße trifft. Wer aus Richtung Lage kommt, sieht die Häusergruppe auf der rechten Straßenseite. Auffälliges Erkennungsmerkmal ist eine stattliche Bruchstein-Villa mit wunderschöner Jugendstilfassade, die jedoch durch zwei Trauerbirken und ein unglücklich positioniertes Verkehrsschild etwas verdeckt wird. Die Villa steht heute unter Denkmalschutz.

Übersichtskarte zum Denkmalgelände
Übersichtskarte zum Denkmalgelände

Ohne Vorkenntnisse kommt der Besucher wohl kaum auf die Idee, dass sich hier eine Farbenfabrik und die wohl bedeutendste private Malerfachschule der Region befanden. Lediglich Putztafeln mit eingravierter Schrift an den Gebäuden weisen auf die besondere Geschichte dieses Ortes hin.

Panoramafoto vom ehemaligen Unternehmensgelände Willer
Panoramafoto vom ehemaligen Unternehmensgelände Willer

„Fabrikation und Großhandel für den Malerbedarf Johann Willer – Büro“, steht auf einer Tafel an der dekorierten Fassade der beeindruckenden Villa mit der Hausnummer 6. Hier residierte der Unternehmer und Mundartdichter Johann Willer mit seiner Familie. Sein Grosshandel für Malerbedarf befand sich unweit entfernt in dem unscheinbaren Haus mit der Nummer 2. Da wo heute Sanitäts- und Heizungstechnik angeboten werden, verkaufte Johann Farben und Handwerkszeug für den Malerbedarf.

Hinter der Villa befindet sich der stilähnliche Bau mit der Nr. 8, an dem eine weitere Tafel verkündet: „Willer Malerbedarf Fabrik und Lager“. Der Bau gleicht einem ansehnlichen Wohnhaus, was allerdings nur Johanns Sinn für Ästhetik zu verdanken ist. Tatsächlich stellte er hier Farben für den Malerbedarf her. Zurzeit wohnen hier Studenten.

Neben dem ehemaligen Fabrik- und Lagerhaus erstreckt sich ein lieblos geteerter Platz, auf dem zumeist Fahrzeuge parken. Der Platz grenzt an ein hallenähnliches Gebäude mit zwei übereinander angeordneten Toren für Keller- und Erdgeschoss. „Willer Farbenhaus“ wirbt ein moderner Schriftzug in Beige auf der weiß gestrichenen Hauswand. Der tatsächliche Zweck des Gebäudes ist ein sonderbarer Mix aus Lager- und Wohnhaus – eigentlich uninteressant, wenn da nicht eine weitere Haustafel wäre: „Aula und Übungssaal der Malerschule Gebr. Willer“.

Ehemaliges Fabrik- und Lagerhaus

Vor der Halle, gegenüber von Johanns Villa steht gross und sachlich das Haus mit der Nummer 12. Hier befand sich zuletzt das Fachgeschäft für Farben und Malerbedarf „Johann Willer GmbH“, das seit 1965 von den Familien Altemeier und Offermann geführt wird. Dieses Haus hat noch eine weitere wichtige Bedeutung: es ist das ehemalige Wohnhaus des Malers August Willer und dessen Familie. August leitete mehrere Jahrzehnte die Detmolder Malerfachschule. Sein Haus konnte es einst gut mit der repräsentativen Villa seines Bruders Johann aufnehmen. Doch heute ist davon nichts mehr zu erkennen. Die Spuren der Geschichte scheinen verwischt. Es gibt wenig Hinweise für das, was hier geschehen war und zum Zerfall des Familienunternehmens führte.

Ehemaliges Wohnhaus von August Willer

Zurück in die Vergangenheit

Durch Fotos aus dem Nachlass der Familie Willer können wir heute gut nachvollziehen, wie das Familiengelände und die Inneneinrichtungen der Häuser vor und nach dem 2. Weltkrieg aussahen. Beim Anblick der Bilder wird schnell deutlich: wer damals die Firma und Malerschule Willer besuchte, durfte zunächst einmal über Haus und Hof staunen.

Auf einem Foto von 1928 zeigt Johann stolz sein Domizil. Und nicht nur das: auf dem Kasten des Lieferwagens, der vor dem Haus parkte, schriebt er seinen Namen. Jeder sollte wissen, dass der Hausherr ein Fahrzeug, vermutlich sogar einen Mercedes-Benz, besaß und hier parkte, sonst niemand. Im Gegensatz zu heute hatten 1928 nur wenige Menschen ein Auto. Damals bedeutete für die Menschen, ein Auto zu haben, große Freiheit und das aufregende Gefühl der Bewegung. Für Johann war es sicher auch der Stolz, etwas im Leben bewegen zu können. Entsprechend konnte und wollte er mit seinem Wagen angeben.

Johanns Villa 1928
Johanns Villa 1928

Bei genauem Hinsehen fällt eine hochragende Antenne auf dem Hausdach auf. Johann war also stolzer Besitzer eines Radios. Auch das war ein Privileg zu dieser Zeit, denn das Radio war eine junge Errungenschaft. Die Deutsche Welle wurde erst 1924 gegründet und begann 2 Jahre später zu senden. Der Rundfunk war ein Medium des Mittelstands und Bürgertums. Anschaffung und Gebühren konnte sich die Mehrheit im Volk nicht leisten. Was mag Johann wohl gerne gehört haben? Sicherlich lauschte er genüsslich den Parodien von Ludwig Manfred Lommel, dem großen Alleinunterhalter der 1920er-Jahre: „Ich hör mit meiner Frau so verknufft gern Radio. Radio bis in die tiefe Nacht…“.

Wer Johann besuchte, konnte eine Kostprobe der Willerschen Handwerkskunst erleben. Dekorationsentwürfe, Farben und handwerkliche Umsetzung – alles kam aus einer Hand. Der beeindruckte Besucher kam nun womöglich auf die Idee, die Dienste der Willers in Anspruch zu nehmen. Und für den Fall, dass jemand lieber selbst Hand anlegen wollte, hatte Johann alles parat in seinem „Großhandel für Malerbedarf“.

Haus und Hof wurden bei Willers liebevoll gepflegt. Dort, wo sich heute der triste Parkplatz ausbreitet, befand sich bis Mitte der 1950er Jahre die prächtige Gartenanlage mit Bäumen und farbenfrohen Blumenbeeten. Die Lagesche Straße war zu der Zeit nur etwa halb so breit wie heute und der Garten entsprechend großzügig angelegt. Er sorgte für eine entspannende Atmosphäre und  für Inspiration der Malerschüler.

Das Wohnhaus von August stand dem von Johann in nichts nach. Es war ebenso nach bester Malerhandwerkskunst dekoriert, ansprechend möbliert, und wirkte daher repräsentativ. Der Glanz aus dieser Blütezeit ist heute bedauerlicherweise nur noch auf Fotos zu bewundern.

Wie alles begann – „Raus aus Rote Kuhle“

Etwa um 1880 wuchsen August und Johann gemeinsam mit acht weiteren Geschwistern auf einem kleinen Bauernhof in „Rote Kuhle“ bei Bega, Dörentrup, auf. Das dünn besiedelte lippische Bergland mit seinen sanften Hügeln, grünen Wiesen und den Buchen- und Fichtenwäldern ist malerisch. Heute verbringen dort Menschen ihre Ferien in Bauernhofpensionen, um zu entspannen, zu wandern oder Wildtiere zu beobachten. Früher gab es diesen Luxus nicht, sicher aber die Freude an der zauberhaften Natur.

Elternhaus von August und Johann Willer in Rote Kuhle
Elternhaus von August und Johann Willer in Rote Kuhle

Johann Friedrich Anton Willer, der Vater von August und Johann, war ein einfacher Bauer – ein ruhiger Geselle. Ihn beglückte immer wieder die schöne Landschaft vor seiner Haustür. In klaren Nächten verweilte er draußen vor seinem Hof und betrachtete den glitzernden Sternenhimmel. Sehr wahrscheinlich vermittelte Johann Senior seine Liebe zu Natur an seine Kinder. Von Mutter Henriette Wilhelmine Luise ist hingegen überliefert, dass sie eine sehr lebhafte, aktive und gebildete Person war. Sie war es wohl, die genau darauf achtete, dass ihre Kinder neben der Arbeit auch fleißig lernten. In Briefen von Johann und August fällt die gewählte Sprache auf, mit der sie schrieben. Guter Ausdruck war im Hause Willer offenbar ein wichtiges Gut, das über die Generationen hinweg weiter vermittelt wurde. So erinnert sich Christiane Hucke heute, dass Großvater Richard Willer ihre Briefe an ihn immer korrigiert zurückgab.

Familie Willer in Rote Kuhle, ca. 1884 (oben: Mutter Henriette, Vater Friedrich, unbekannte Person; unten: Luise, Heinrich, Wilhelm, August, Johann; Sohn Friedrich fehlte)
Familie Willer in Rote Kuhle, ca. 1884 (oben: Mutter Henriette, Vater Friedrich, unbekannte Person; unten: Luise, Heinrich, Wilhelm, August, Johann; Sohn Friedrich fehlte)

Das Leben auf dem Land war hart. Der kleine Bauernhof in Rote Kuhle warf kaum genug ab, um die große Familie zu ernähren. Es wurde im Gemischtbetrieb fast alles angebaut, was die Familie und ihr Personal zum Leben benötigten. Die Kinder mussten bei der Nahrungsmittelproduktion mit anpacken, und dabei gab es nur wenige technische Hilfsgeräte.

Viele junge Leute verließen die dünn besiedelte Region, um Arbeit zu finden. Der älteste Willer-Sohn Friedrich hätte den elterlichen Hof übernehmen können. Doch der war fand Handwerk viel spannender als Landwirtschaft. So verließ er den Hof, um in lokalen Handwerksbetrieben zu lernen und zu arbeiten. Vater Johann mag sich gedacht haben: „Naja, ich habe ja genug Jungs. Dann übernimmt halt der Nächste den Hof.“ Doch auch da hatte er sich getäuscht. Denn August und Johann bewunderten ihren großen Bruder Friedrich. Auch sie interessierten sich für Kunst, Farben und Handwerk. Und so kam es wie es kommen musste: August und Johann arbeiteten in örtlichen Handwerksbetrieben, bis sie dann das große Abenteuer wagten: sie gingen auf die Walz. Nach altem Brauchtum war das der vorgeschriebene Weg für die Meister. Er führte in fremde Regionen und Orte, um Kenntnisse und Fähigkeiten zu entwickeln. Auf der Walz hatten August und Johann ihre besonderen Talente ausgebildet. Es ist anzunehmen, dass ihre Liebe zur Natur sie antrieb, nicht nur einfache Handwerker, sondern auch Maler und Künstler zu werden. Von Johann ist überliefert, dass er die Kunstgewerbeschule in Aachen besuchte.

Aufstieg mit Farben – Gründung der Malerschule und Farbenfabrik

1904 ergab sich für Johann die Gelegenheit, ein sehr interessantes Anwesen mit zwei großen Wohnhäusern in Detmold zu kaufen. Das Grundstück lag in der Ecke, wo die Freyastrasse auf die Lagesche Straße trifft, nahe am Stadtzentrum. Es bot genügend Platz für den Aufbau eines Unternehmens. Johann besprach die Gelegenheit und seine Vision mit August, der sich längst zu einem begabten Maler und Künstler entwickelt hatte. „Lass uns eine Malerfachschule aufbauen, die weit über die Grenzen hinaus bekannt ist. Außerdem gibt es für gute Handwerker in Detmold und Umgebung immer genug zu tun“, mag Johann argumentiert haben. August sah die große Chance und stieg als Teilhaber in Johanns Geschäft ein. Das Anwesen wurde gekauft und die „Detmolder Malerschule Gebrüder Willer“ gegründet. Nur zwei Jahre später eröffneten sie stolz ihren ersten Schulungsraum. Zusätzlich zur Holzimitation stand jetzt auch die Dekorationsmalerei mit auf dem Stundenplan.

„Wer malen will, benötigt Farben und Pinsel“, wusste Johann und gründete 1907 ein Malergeschäft mit angeschlossenem Handel. Von nun an widmete er sich vornehmlich dem Ausbau seines neuen Geschäfts. 1909 errichtete er hinter seiner Jugendstilvilla ein Fabrik- und Lagergebäude für die Farbenherstellung. Das Geschäft mit Farben und Malerbedarf entwickelte sich gut. Johann stellte Personal ein. Im Jahr 1924 übertrug er das Malergeschäft auf seinen Gehilfen und gründete die Lippische Spachtel-, Farben- und Kittfabrik an der Lageschen Straße 71. Der Name versprach: „Hier bekommt der Handwerker alles, was sein Herz begehrt“. Johann war tüchtig und konnte mit seinem Geschäft trotz der Wirtschaftskrise Erfolge verzeichnen. Schon bald taufte er seinen Betrieb um in „Großhandel für den Malerbedarf“.

August war ebenso aktiv wie sein Bruder Johann. Er nahm das 25-jährige Jubiläum der Malerschule zum Anlass, um die Schule zu erweitern. Sohn Richard unterstützte seinen Vater dabei tatkräftig. August und Richard waren sich auffallend ähnlich, nicht nur äußerlich. Wie sein Vater ging Richard als junger Bursche auf Wanderschaft und lernte mit 27 in einer Kunstschule das Malen. Vater und Sohn errichteten 1929 für die Malerschule eine Aula und einen großzügigen Malersaal mit hohen Fenstern. Zudem wurde der Keller ausgebaut, um mehr Stauraum für Malermaterial zur Verfügung zu haben.

Auf dem Höhepunkt: Johann, Richard und August Willer bei der Feier zum 25-jährigen Jubiläum der Malerschule, 9.3.1929
Auf dem Höhepunkt: Johann, Richard und August Willer bei der Feier zum 25-jährigen Jubiläum der Malerschule, 9.3.1929

Aus heutiger Sicht scheint es so, als ob sich zwischen August und Johann ein persönliches Wettrennen um den größeren wirtschaftlichen Erfolg entwickelte. Denn August plante ebenfalls, ein Geschäft aufzubauen. Richard war inzwischen verheiratet und arbeitet als Lehrer in Kiel. Als er 1938, kurz vor Kriegsbeginn, mit seiner Familie ins Elternhaus nach Detmold zurückkehrte, war für August der richtige Zeitpunkt gekommen. Er startete gemeinsam mit Richard die Bauaktion. Am Wohnhaus wurde ein Laden angebaut. Und im gleichen Zug wurden die Wohnungen im Haus zerteilt und Toiletten installiert.

Johann holte sich 1936 Verstärkung. Zwei neue Teilhaber stiegen in sein Geschäft mit ein: Wilhelm Altemeier, ein Malermeister aus Bad Meinberg, und Alfred Murschal. Die beiden hatten zuvor die Malerschule besucht. Johann schien alles zu gelingen, bis kurz vor Beginn des 2. Weltkriegs das Schicksal seine Familie ereilte. Johanns Frau Johanne erlitt mehrere Schlaganfälle und benötigte fortan Pflege. Im Zuge der Kriegswirren geriet sein Sohn Jochen in Kriegsgefangenschaft. Das war zu viel. 1941 traf Johann den Entschluss, sich aus der Firma und nach Detmold-Hiddesen zurückzuziehen. Dafür stiegen Wilhelm Altemeier und Alfred Murschal voll ins Geschäft ein und führten es erfolgreich weiter. Tröstend war für Johann, dass er nun endlich genug Zeit fand, sich seiner eigentlichen großen Liebe zuzuwenden. Er dichtete auf Lippisch Platt frei nach dem Motto „Ollerhand van düt un dat up Hauch un Platt“.

Gedicht Johann Willer 1950
Gedicht Johann Willer 1950

Die Malerschule hatte sich inhaltlich über mehrere Jahrzehnte auf die Dekorationsmalerei fokussiert. In den 1950er-Jahren kamen viele weitere praktische und theoretische Themen zur Ablegung der Meisterprüfung im Malerhandwerk hinzu. Die Willers bildeten Gesellen zu Meistern in einer Vielzahl von Berufsbildern aus: Dekorations-, Theater-, Kirchen-, Fass-, Schrift-, Möbel- und Werbemaler, Schilderhersteller, Möbel- und Fahrzeuglackierer. Während ihrer Blütezeit verzeichnete die Malerschule über 250 Kursteilnehmer aus dem Inland und benachbarten Ausland.

Kernthema der Malerschule: Dekorationsmalerei
Kernthema der Malerschule: Dekorationsmalerei

So wurde gearbeitet

In Johanns Fabrik wurden Farben und Lacke für Malerbedarf im großen Stil hergestellt. Eine Farbe besteht aus Farbstoffen und einem Bindemittel. Das Bindemittel sorgt dafür, dass die Farbe auf dem Maluntergrund haften bleibt. Die Herstellung von Farben geschah bei Willers nach wohl gehüteten hauseigenen Rezepten, die garantierten, dass die Farben eine schön gleichmäßige Struktur bekamen, nicht blätterten und lange hielten. Verkauft wurden die Farben über Johanns „Großhandel für Malerbedarf“.

Arbeit mit Farben in Johanns Farbenfabrik

August führte neben der Malerfachschule ein Malergeschäft, denn die Schule lief saisonbedingt und warf allein nicht immer genug Geld ab. Restaurierung lief eigentlich immer. Die Willers hatten Methoden entwickelt, um angegriffene oder verpfuschte Kunstwerke und Möbel wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu versetzen.

Nach der Erweiterung der Malerschule um die Aula und den Übungssaal war reichlich Raum für professionelles Arbeiten und repräsentative Gewerbe- und Kunstausstellungen vorhanden. So konnten Handwerk und Kunstwerke viel besser verkauft und damit auch gefördert werden. Großzügige Fenster ließen viel Licht in den Saal. Und beim Blick nach draußen sahen die Malerschüler direkt in den grünen Vorgarten. Es bestanden sehr gute Bedingungen, um kreativ zu arbeiten.

Arbeiten an Innendekorationen in Augusts Malerschule
Arbeiten an Innendekorationen in Augusts Malerschule

Kunst an der Malerschule

Während seiner Schaffenszeit als Lehrer für Kunst- und Dekorationsmalerei stellte August Willer sein malerisches Können in vielen Bildern mit Portraits, Landschaften oder Stillleben unter Beweis. An der Malerschule entstanden im Laufe der Jahre viele Werke durch ihn sowie angehende Lehrlinge und Meister. Es gab zudem Kontakte zu bekannten Künstlern aus der Region. Lippe wurde in den 1920er-Jahren zu einer beliebten Destination für Künstler aus den Metropolen Berlin, Hannover und Düsseldorf. Sie zogen in das malerische Schwalenberg, angetan von der Harmonie des historischen Stadtkerns, die Schönheit der Landschaft und den außergewöhnlichen Lichtverhältnissen. So entstand die Künstlerkolonie Schwalenberg.

Ausstellung im repräsentativen Übungssaal der Malerschule
Ausstellung im repräsentativen Übungssaal der Malerschule

Einer der Künstler aus der Kolonie war Karl Henckel. Er stammte aus dem kleinen Ort Horn bei Detmold, studierte aber an den Kunstakademien in Dresden und Kassel. Er verbrachte danach mehrere Jahre in der Willingshäuser Malerkolonie und lernte unter dem impressionistischen Maler Carl Bantzer. Henckel war heimatverbunden. So kehrte er 1921 an den Ort seiner Wurzeln zurück. Besonders gerne malte er lippische Handwerker bei ihrer Arbeit. In der Zeit entstand offenbar auch ein Kontakt zu August Willer und der Malerfachschule. Ein Hinweis auf Kontakt der beiden Künstler ist ein Portraitbild von Henckel im Nachlass von August Willer. Vielleicht stellte ja der Künstlerkollege Bruno Wittenstein den Kontakt zu Henckel her, denn der kam ebenfalls aus Horn.

Bruno Wittenstein studierte Kunst an den Kunstakademien in Düsseldorf und Berlin, und lebte ab 1903 in Detmold. Dort unterhielt er eine kleine Kunstschule und wurde Vorsitzender des Lippischen Künstlerbundes. Es ist naheliegend, dass die kunstbegeisterten Willerbrüder eine gute Beziehung zu Bruno Wittenstein pflegten. Wittenstein wohnte einige Zeit an der Malerschule Detmold. Das war vermutlich gegen Ende der 1920er-Jahre, als Deutschland in den Sog der Weltwirtschaftskrise geriet. In der Zeit wurde es für Künstler sehr schwierig, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. So ist in der Familiengeschichte der Willers überliefert, dass Wittenstein in Mietzinsverzug geriet und seine Schulden mit Bildern beglich. Er malte auch ein Portraitbild von August Willer.

Postkarte mit lippischen Schlössern und Burgen gemalt von August Willer (oben: Burg Schwalenberg, Schloss Detmold, unten: Schloss Varenholz, Burg Sternberg)
Postkarte mit lippischen Schlössern und Burgen gemalt von August Willer (oben: Burg Schwalenberg, Schloss Detmold, unten: Schloss Varenholz, Burg Sternberg)

Malen war die Passion von August Willer. Obwohl er nie eine Kunstakademie besuchte, entwickelte er ein beachtliches malerisches Können. Im Laufe seines Schaffens an der Malerschule ist eine Reihe von Bildern entstanden. Die meisten davon sind Portraits und Stillleben mit Blumenmotiven. Es gibt aber auch einige Landschaftsbilder mit Motiven aus der unberührten Natur im lippischen Umland sowie Bilder der eindrucksvollen lokalen Schlösser und Burgen. August malte bevorzugt mit Ölfarben auf Holz und Leinwand. Die nachfolgenden Bilder geben einen Eindruck von August Willers

Auf dem Irrweg des Nationalsozialismus

Infolge der Inflation 1923 erlebte Lippe bis in die 1930er Jahre eine besonders hohe Arbeitslosigkeit. Die Situation wurde durch die Weltwirtschaftskrise 1928 weiter verschärft. Armut und Hoffnung waren sicherlich wichtige Gründe dafür, warum die Nationalsozialisten ausgerechnet in Lippe schnell an Popularität gewannen. Vor der Landtagswahl im Januar 1933 traten hochrangige Vertreter der NSDAP, auch Adolf Hitler, gleich 17-mal in Lippe auf. Sie ahnten wohl, dass die von der Not geplagten Lipper leicht zu verführen waren. Die NSDAP gewann die Wahl. Heute wissen wir, dass die Lipper damit Hitler einen wichtigen Teilsieg und Anschub auf dem Weg zur Macht gaben.

Johann Willer schrieb in Briefen, dass sein Farbengeschäft bis 1930 recht gut lief, dann aber Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise empfindlich zu spüren bekam. August und Johann wurden empfänglich für Ideen der Nationalsozialisten, obwohl jüdische Bürger zuvor zu ihren guten Kunden gehörten. Wie viele andere Menschen glaubten sie an die Versprechungen der NSDAP und fielen in die allgemeine Euphorie. August platzierte Hakenkreuze am Gebäude der Malerschule und Johann schrieb Gedichte auf den Nationalsozialismus. Vermutlich hatte ihnen auch ihr Geschäftsdrang die Sinne getrübt, denn nur mit guten Beziehungen zur nationalsozialistischen Kreisleitung in Detmold konnten sie Konzessionen zur Geschäftserweiterung und Aufträge durch Stadt und Land bekommen.

Im Laufe des Krieges kippte die Stimmung. Angst und Neid kamen ins Spiel. Die Familien von August und Johann gerieten in heftigen Streit und beschuldigten sich gegenseitig. Der Krieg wurde härter und der Druck höher. Detmold blieb zwar vor Fliegerangriffen weitgehend verschont. Doch die ständige Angst bei Fliegeralarmen und die vielen Stunden in Luftschutzkellern zermürbten die Menschen psychisch. Gegen Ende des 2. Weltkriegs war die Beziehung zwischen den beiden Willer-Familien vergiftet. Die Malerschule wurde geschlossen. Erst nachdem die Schule eine Phase der Entnazifizierung durchlief, durfte sie 1949 den Betrieb wieder aufnehmen.

Die Malerschule etwa 1938
Die Malerschule etwa 1938

Wirtschaftswunder, Verdrängung und Zerfall der Familie

August Willer erlebte noch die Anfänge der erneuten Blütezeit der Malerschule in den 50er Jahren. Obwohl sein Sohn Richard den Betrieb schon seit 1939 erfolgreich führte, mischte sich August immer wieder ein. Karin Hucke und Helga Stautenberg berichteten darüber, dass ihr Vater Richard sich gerne mit neuen, zeitgemäßen Ideen zur Modernisierung der Schule eingebracht hätte. Doch August verschloss sich dagegen. Vielleicht waren ihm Richards Ideen zu neu und abwegig, oder August konnte einfach nicht loslassen. Frustriert waren am Ende sicherlich beide, denn es gab keine wirklich harmonische Übergabe der Malerschule vom Vater zum Sohn. August starb 1954 im Alter von 81 Jahren.

Bei Johann sah es nicht besser aus. Er zog sich aus seinem Farbenbetrieb zurück, ohne Weitergabe an seine Nachkommen. So verkaufte er den Handel 1952 inklusive der Nutzungsrechte für den Namen „Johann Willer“ an seinen langjährigen Geschäftspartner Wilhelm Altemeier, der die Chance nutzte, das Unternehmen erfolgreich ausbaute und später an seinen Sohn Wolfgang übergab. Johann lebte zurückgezogen in Detmold-Hiddesen, wo er 1964 verstarb.

Nach dem Tod seines Vaters wurde Richard zum Baulöwen. Neues Geschäft sollte entstehen. Er verwandelte die Parkanlage vor der Malerschule erst in eine Baustelle und dann in einen geteerten Parkplatz. In den Räumen unter der Malerschule richtete er ein Filmtheater ein. Es war die Blütezeit des Hollywoodfilms. Die Menschen trieb es in die Städte, um die großen Stars wie James Dean, Marilyn Monroe oder Marlon Brando sehen. 1958 eröffnete Richard sein Lichtspieltheater „Palette“.

Das Wohnhaus von August vor dem Umbau etwa 1938
Das Wohnhaus von August vor dem Umbau etwa 1938

Im Dachgeschoss der ehemaligen Malerschule richtete er Appartements ein, die er vermietete. In dem Zuge wurde auch das Haus von Vater August modernisiert, aus heutiger Sicht beschädigt. Ganz im Gegensatz zu seinen Vorgängern verzichtete Richard nun auf jegliche Art von Kosmetik. Er entfernte alle Verzierungen, und hängte die Decken tiefer, auch um den Stuck zu verbergen.

In der Nachkriegszeit waren die Menschen in Deutschland auf der Suche nach neuen Werten. So hatte womöglich auch Richard den Drang, sich von Altem zu trennen und Neues zu schaffen. Es war die Zeit, in der Deutschland das Wirtschaftswunder erlebte. Vermutlich war Richard davon überzeugt, dass für den wirtschaftlichen Aufschwung die Modernisierung von Haus und Hof nötig war. Sicherlich lenkte ihn das unentwegte Werkeln wohltuend ab von den im Kopf präsenten schlimmen Bildern aus dem Krieg. Letztendlich ist es Richards Bauwut und Vergangenheitsbewältigung zuzuschreiben, dass die Spuren der Geschichte der Malerschule auf dem Willer-Gelände ausgewischt wurden.

Der Krieg hatte den einst fröhlichen und zart besaiteten Richard verändert – ihn hart, starrsinnig und einsam gemacht, sinnierte seine Tochter Karin in ihren Aufzeichnungen. Sie, ihre Schwester Helga und die Enkel bekamen das zu spüren. Es fiel ihnen schwer, mit Richard umzugehen. Richard war letztendlich auch nicht bereit, die Malerschule an seine Tochter und den Schwiegersohn zu übergeben, obwohl die sich dafür interessierten. Lieber verkaufte er das gesamte Anwesen 1965 an Wilhelm Altemeier, der bereits das Malergeschäft besaß. Danach zog Richard nach Bad Salzuflen, Papenhausen, in eine ehemalige Bäckerei mit angeschlossenem Wohnhaus. Dort baute er weiter…

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