Feuerkugel über Flensburg – Tolle Typen verhelfen Wissenschaftlern zu einem sensationellen Fund

Feuerkugel über Flensburg – Tolle Typen verhelfen Wissenschaftlern zu einem sensationellen Fund

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Kitesufer Dorian Cieloch und Feuerkugel (Foto: Dorian Cieloch)
Kitesufer Dorian Cieloch und Feuerkugel (Foto: Dorian Cieloch)

Kitesurfer Dorian Cieloch gelang am Nachmittag des 12. September 2019 das, wovon Astronomen nur träumen können. Als er sich auf dem Wasser in der Nähe von Cuxhaven in eindrucksvoller Pose auf seinem Surfbrett filmte, erschien am Himmel hinter ihm eine leuchtend helle Feuerkugel. Cieloch war die außergewöhnliche Lichterscheinung zunächst gar nicht aufgefallen. Ein Zuschauer seines Videos sah genauer hin und teilte ihm mit, dass da gleich zwei imposante Erscheinungen auf seinem Video zu sehen waren. Wenig später wurde Cielochs Aufnahme tausendfach im Internet geteilt. Die Sensation war perfekt: eine Feuerkugel zischte mit einem Knall über die Nordsee, berichteten die Medien. Bei dem Phänomen drang ein Gesteinsbrocken aus dem All mit Überschallgeschwindigkeit in die Erdatmosphäre ein und leuchtete hell am Himmel.

Wenige Tage später erhielt der Meteoritenforscher Dieter Heinlein einen Anruf von einem Mann aus Flensburg, der einen ungewöhnlichen Fund melden wollte. Heinlein ist als operativer Leiter des Feuerkugelnetzes des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Fachkreisen bekannt. Der Anrufer stellte sich als Hobbyastronom Eric Due-Hansen vor und berichtete von einem schwarzen Stein, den er zufällig auf seinem Rasen entdeckt hatte. Der kleine Stein, etwa 2 cm breit, war angeblich auffällig leicht und von einer schwarzen Kruste ummantelt.

„Ich bekomme häufig solche Mitteilungen“, erklärt Dieter Heinlein. „Die große Mehrheit der Funde erweisen sich aber als gewöhnliche Steine oder Schlacken. Darum bin ich auch nicht gleich persönlich hingefahren. Ich bat den Finder, den Stein per Paketdienst zu senden.“ Dieter Heinlein und seine Frau Gabriele beschäftigen sich seit vielen Jahren mit Meteoriten. Die Gesteine aus dem All sind älter als alles auf unserem Planeten und geben womöglich Aufschluss über die Entstehung des Sonnensystems.

Seit über 20 Jahren betreut Dieter Heinlein das Feuerkugelnetz, ein Netzwerk aus 25 Kamerastationen verteilt in Deutschland, Tschechien, Belgien, Luxemburg und Österreich. Die Kameras überwachen den Himmel nicht nur, um Bilder von den faszinierenden Feuerkugeln zu bekommen. Die Wissenschaftler hoffen, dass eine Restmasse den Erdboden erreicht. Mit den Positionsdaten, die die Stationen liefern, berechnen die Forscher die Aufschlagsregion. „Und wenn wir diese Information haben, senden wir unsere Spürhunde aus“, erklärt Dieter Heinlein. Damit meint er ein kleines Team begeisterter Meteoritenfreunde, die sich auf die Suche nach Meteoriten spezialisiert haben.

Wartung einer Kamera des Feuerkugelnetzes
Wartung einer Kamera des Feuerkugelnetzes
Der Flensburger Meteorit
Der Flensburger Meteorit

Am 14. Dezember 2019 treffe ich Gabriele und Dieter Heinlein in Augsburg. Wir sind seit vielen Jahren befreundet. „Du kommst grad rechtzeitig“, begrüßen mich die beiden mit einem verschmitzten Lächeln. Im Arbeitszimmer darf ich Platz nehmen. Dieter holt aus einem Schrank eine verschlossene Box. Er öffnet diese und entnimmt sorgsam einen Gegenstand, eingewickelt in einem Papiertuch.

Langsam entfernt er das Papier, und zum Vorschein kommt ein kleiner, dunkler Klumpen. „Das ist er“, sagt Dieter mit Begeisterung in der Stimme und macht es spannend: „der Flensburg-Meteorit!“ Ich erinnere mich gut an die Berichte über die Feuerkugel in den Nachrichten. Dann war der Meteorit also doch nicht einfach nur in die Nordsee gestürzt. Zumindest ein Bruchstück fiel ausgerechnet in den Garten von Eric Due-Hansen, der zum Glück ein aufmerksamer Beobachter war, den dunklen Stein nicht einfach wegfegte, sondern gut überlegt den Meteoritenexperten meldete.

Dieter Heinlein nimmt den Meteorit unter das Mikroskop

Ich darf den Meteoriten für einen Moment halten, vorsichtig, mitsamt seiner Tuchunterlage. Es ist sonderbar – dieser kleine schwarze Stein hat etwas – er fühlt sich anders an als ein gewöhnlicher Stein. „Er ist sehr leicht“, sage ich zu Dieter. „Das ist ein kohliger Chondrit – das spürst Du. Dieser Meteorit enthält kohlenstoffhaltiges Material, inklusive Kohlenwasserstoff. Darum ist der Stein besonders leicht,“ erklärt Dieter. Mir entgeht nicht das magische Wort Wasser. Was könnte es bedeuten, dass in diesem Meteoriten Wasserstoff gebunden vorliegt, frage ich zurück. „Wissenschaftler rätseln bis heute, woher das Wasser auf der Erde kam. Eine essentielle Frage, denn Wasser ist ja die Grundlage allen Lebens auf unserem Planeten. Eine Theorie besagt, dass das Wasser von Meteoriten wie diesem stammte.“ Der kosmische Stein ist ein Puzzlestück in dem großen Rätsel zur Herkunft des Wassers und gibt womöglich neue Hinweise. Darum geht der Meteorit in wenigen Tagen zurück ins Labor von Professor Addi Bischof am Institut für Planetologie der Universität Münster, meint Dieter. Zuvor jedoch haben wir die Möglichkeit, den Meteorit genauer zu betrachten.

„Etwas glänzt auf der Oberfläche,“ sage ich zu Dieter. „Im Licht sehe ich winzig kleine Lichtreflexe, wie bei Metall. Was könnte das sein?“ „Dein Lichteffekt ist mir bisher noch nicht aufgefallen. Es könnte sich dabei um Reflexionen an Pyrrhotin-Plättchen handeln. Das Computer-Tomogramm des Meteoriten zeigt solche Kränze aus Pyrrhotin. Wir sehen uns das mal genauer an.“ Mit diesen Worten legt Dieter den Meteoriten unter das Mikroskop. Was Pyrrhotin ist, möchte ich wissen. „Das ist ein Eisensulfid, also eine Eisen-Schwefel-Verbindung. Das Pyrrhotin in diesem Meteorit entstand lange Zeit, bevor es die Erde gab, etwa vor viereinhalb Milliarden Jahren. Und das Besondere ist: Pyrrhotin, wie auch Karbonate, entwickeln sich in wässriger Umgebung – ein Hinweis auf Wasser. Darum sind wir Wissenschaftler so erfreut über diesem Fund.“ Dieters Begeisterung ist mitreißend, und er legt nach: „Dieser Meteoritentyp ist extrem selten. Es gibt bisher nur zwei weitere Exemplare, und einer davon stammt sogar von einer Mondprobe. Beim Flensburg-Meteoriten wissen wir genau, wann er gefallen ist, und wir konnten ihn bereits analysieren, kurz nachdem er gefallen war. Wir haben also einmalige Daten für die Wissenschaft.“

Meteoritenkruste mit glänzenden Pyrrhotin-Plättchen

Dieter fokussiert das Mikroskop auf die Oberfläche des Meteoriten. Wir erkennen auf der schwarzen Kruste tropfenartige, glasige Schmelzreste. Nur eine enorme Hitze konnte diese Spuren hinterlassen haben. Die Hitze entstand, als der Stein mit hoher Geschwindigkeit, etwa 20 bis 70 Kilometer pro Sekunde, in die Erdatmosphäre eindrang. Unsere Aufmerksamkeit richtet sich dann auf die glänzenden Stellen. Wir erkennen kleine, plane Flächen, die wie Spiegel wirken und das Licht reflektieren. Diese Plättchenstrukturen sind typisch für Pyrrhotin – der Stoff, der Hinweise auf Wasser geben könnte. Dieter hatte diese Strukturen in Computertomogrammen gesehen, jedoch noch nicht mit eigenen Augen unter dem Mikroskop.

„Weißt Du eigentlich, woher unser außerirdischer Gast kommt?“, frage ich Dieter. „Vermutlich von einem Kleinasterioden mit einer Bahn, die bis hinter den Mars reicht. Genau können wir das aber bisher noch nicht sagen. Wir haben zwar einige schöne Bilder von der Feuerkugel, doch die stammen zumeist von bewegten Kameras. Für eine Bahnberechnung dieses Meteoriten benötigen wir Bilder von Kameras, die präzise gegenüber dem Sternenhimmel einjustiert sind.“ Einmal mehr haben die Wissenschaftler Glück. Nur wenige Tage vor dem Fall der Feuerkugel weihte der Amateurastronom Jörg Strunk aus Herford seine neue Meteoritenkamera ein – alles digital, aktuellste Technik, gewissermaßen ein Turbogerät unter den Kameras im deutschen Feuerkugelnetz. Der Himmel über Herford war zwar größtenteils bewölkt, als die Feuerkugel fiel. Doch wie durch ein Wunder huschte sie ausgerechnet durch eine Wolkenlücke und blieb daher Jörg Strunk nicht verborgen.

Feuerkugel über Herford (Foto: Jörg Strunk)
Feuerkugel über Herford (Foto: Jörg Strunk)

Die Aufnahme von Jörg Strunk zeigt die Feuerkugel zwar nicht in ihrer vollen Pracht, doch wissenschaftlich ist sie für uns äußerst wertvoll, denn sie liefert exakte Flugpositionsdaten,“ meint Dieter. „Für einige andere Fotos, die wir erhalten haben, müssen wir noch eine Kamerakalibrierung nachträglich vornehmen. Das dauert einige Zeit. Ich bin mir aber sicher, dass wir dann die Flugbahn und damit die Herkunft unseres Meteoriten berechnen können.“

Addi Bischoff und Markus Patzek sichern den Meteoriten (Foto: Addi Bischoff)
Addi Bischoff und Markus Patzek sichern den Meteoriten (Foto: Addi Bischoff)

Ein kleiner Stein schreibt große Geschichte, dank großartiger Protagonisten. Ohne die besondere Aufmerksamkeit und Leidenschaft von begeisterten Menschen wäre der Flensburg-Meteorit sehr wahrscheinlich nicht gefunden worden oder wichtige Informationen wären verborgen geblieben. Professor Addi Bischoff von der Universität Münster ist darüber sehr glücklich: „Der Flensburg-Meteorit ist bezogen auf Deutschland der mit großem Abstand wissenschaftlich wichtigste Meteoritenfall. Bei der Frage, wie ist das Wasser auf unsere Erde gekommen, spielt der Meteorit eine wichtige Rolle. Denn Flensburg enthält nur Minerale, die irgendetwas mit Wasser zu tun haben.“ Inzwischen haben die Planetologen Addi Bischoff und Markus Patzek den Flensburg- Meteoriten am Institut der Universität Münster professionell verwahrt. Kleine Proben des Steins senden sie an internationale Wissenschaftlerteams, die nun vertiefte Untersuchungen vornehmen.

Geschichten leben davon, weitererzählt zu werden. Dieter schreibt über den Flensburg-Meteorit Fachartikel oder hält Vorträge. Gabriele hat dagegen ihre eigene Erzählweise. Mit Playmobil stellt sie Geschichten nach, um Kindern und Erwachsenen den Spaß bei der Jagd nach Meteoriten zu vermitteln.

Heinleins mit Flensburg-Meteorit

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