Eurovision 2014 – Afterparty

Eurovision 2014 – Afterparty

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Eigentlich müssten wir vor Müdigkeit umfallen. Doch an Schlaf ist jetzt nicht zu denken. Hakan steuert seinen schwarzen BWM fast lautlos über eine kurvige Straße auf dem Eurovision Island. Wir sind offenbar die letzten, die hier noch unterwegs sind. Das Navi kennt unser Ziel: der Euro-Club in der Innenstadt von Kopenhagen. „Ich würd mich eigentlich gern umziehen. Soll‘n wir nicht nochmal schnell ins Hotel?“, fragt Kerstin. Hakan schaut skeptisch auf die Uhr. „Es ist schon 4 Uhr. Wenn wir jetzt noch ins Hotel fahren, läuft später im Club nichts mehr. Lasst uns lieber direkt hinfahren.“ Ein kurzer Moment der Stille, dann ertönt ein einstimmiges „Ok!“

Es ist alles so schnell gegangen – wie ein Film, der in Zeitraffe abläuft. Nur, dass Du Teil der Szenen bist. Fast surreal. Die Bilder fliegen mir durch den Kopf. In dieser Woche hat sich eine erstaunliche Geschichte abgespielt. Ort des Geschehens ist die B&W Hallerne, eine gewaltige ehemalige Werfthalle auf dem Eurovision Island. Jeden Tag proben Künstler aus fast 40 Ländern auf der lichtumfluteten Bühne, um dann in den großen Shows alles gegeben. Die Zuschauer sind aus dem Häuschen. Sie singen, klatschen oder machen die La-Ola-Welle.

Ein junger Typ aus Österreich löst durch seinen ungewöhnlichen und provokanten Auftritt eine kontroverse Diskussion aus. Die einen sind fasziniert, die anderen schockiert. Eine Frau, eine Drag Queen oder doch ein Mann? Hübsch ist sie ja, wenn da nicht dieser Bart wäre, sagen die Kritiker. An diesem Bart zeigt sich, wie eingefahren unsere Gesellschaft ist. Ungewohntes wird oft kategorisch abgelehnt. So bedeutet „Frau mit Bart“ für einige Zeitgenossen zu viel Freiheit. Sie möchten den österreichischen Beitrag am liebsten vom Bildschirm verbannen. Andere wiederum fühlten sich hingezogen, inspiriert und beginnen, offen über Freiheit, Toleranz und Fairness zu diskutieren. „Es ist doch egal, wie du aussiehst und woher du kommst – geh deinen Weg, solange du niemandem damit wehtust“, sagt Conchita Wurst.

Mich fasziniert allerdings noch etwas ganz anderes an ihr: Dieser Wimpernschlag und die linke Augenbraue, die sich für einen kurzen Moment schwungvoll hochzieht, um sich dann genauso schnell wieder zu senken. Irgendwie wirkt das unwiderstehlich anziehend. Dick aufgetragenes Mascara allein schafft diesen Effekt nicht. In den Augen zeigt sich etwas Menschliches, das berührt. Ein Wimpernschlag erzählt eine Geschichte – über Freude und Entschlossenheit, aber auch über Zerbrechlichkeit.

„Rise like a Phoenix“, die Auferstehung des Phönix‘, könnte die Metapher der Geschichte von Tom Neuwirth sein. Der Phönix ist ein mythischer Vogel, der sich selbst verbrennt und dann verjüngt aus seiner eigenen Asche hervor geht. Als der junge Tom zu lange einen steinigen Weg im Leben beschreitet, beschließt er, sich komplett neu zu erfinden und in die bärtige Schönheit Conchita zu verwandeln. Nicht einmal seine Freunde werden ihn erkennen…

Wir laufen im Geröll
Wir laufen über Glas
Die Nachbarn sagen wir sind eine Last
Aber diese Zeiten sind vorbei
Aus dem Spiegel starrt
Nein, das bin nicht ich
Ein Fremder kommt näher
Wer kann das sein?
Du würdest mich heute gar nicht kennen
Aus dem verglühenden Licht fliege ich
Steige auf wie ein Phönix
Aus der Asche heraus
Suche weniger die Rache als Vergeltung
Du warst gewarnt
Wenn ich erst verwandelt bin
Wenn ich wiedergeboren bin
Weisst Du, ich werde aufsteigen wie ein Phönix
Aber Du bist meine Flamme…

Songtext: Rise like a Phoenix, Conchita Wurst, Eurovision Song Contest 2014 Autoren: Charly Mason, Joey Patulka, Ali Zuckowski, Julian Maas

Und als hätte es nicht anders geschehen sollen, nimmt das Finale nach einem dramatischen Wettrennen ein märchenhaftes Ende. Viele haben es gehofft, aber sicherlich kaum einer wirklich geglaubt: mit „Rise like a Phoenix“ legt Chonchita Wurst nicht nur eine gesangliche Glanzleistung hin. Der Wimpernschlag bewegt eine große Mehrheit der Menschen in ganz Europa so sehr, dass sie zum Telefon greifen und für Chonchita und Toleranz wählen. „And our 12 Points go to… Austria!“ Tränen der Freude fließen unaufhaltsam. Die anderen Stars gratulieren. Es ist auch ihr Abend – sie haben Anteil an der wunderbaren Show. Doch ein Stern hat alle anderen überstrahlt und lenkt internationale Sympathien auf Österreich. Das ist jetzt nicht einmal 3 Stunden her.

Der Phönix steigt auf” (Foto: Johannes Schick)

Ich tauche aus meinen Gedanken auf. Das Wagen wird langsamer. Wir haben die Innenstadt erreicht. Es ist dämmerig. Noch einige Straßen weiter, dann biegt Hakan auf einen Parkplatz. „Wir sind da. Schmeißt Eure Sachen in den Kofferraum.“ Gesagt getan. Wir gehen nur wenige Meter zu Fuß und erreichen das VEGA, einen der populärsten Musikclubs in Kopenhagen. Selbst Prince, David Bowie oder Kylie Minogue waren schon hier zu Gast. Während des Song Contests ist das VEGA der Euro-Cub. Der Kontrolleur am Eingang will unsere Eintrittskarten sehen. Dann sind wir drin. Ich spüre die warme Luft mit der Duftnote einer großen Party und die Beats von Popmusik. Viele Eurovision-Stars und natürlich die Gewinnerin Conchita sind nach der Show hierhin gekommen, um den Contest ein letztes Mal zu feiern und große Emotionen zu genießen.

Das VEGA gleicht einem Labyrinth mit mehreren Bars und Tanzflächen. Die Holzvertäfelungen sorgen für eine etwas dunkle, aber angenehme Atmosphäre. Im schummrigen Licht durchqueren wir einen schmalen Gang. Die Beats werden lauter. Eine Tür vor uns öffnet sich und entfesselt die Musik zu voller Lautstärke. Im Schein bunter Lichter bewegen sich Körper auf einer Tanzfläche zu den Poprhythmen. In den Ecken und an der Bar stehen in gelassener Pose Leute mit Gläsern und versuchen gegen die Musik anzureden. Wer denkt schon in einer solchen Nacht an profane Dinge wie zum Beispiel – essen? Na, wir alle. Auf einmal ist da dieser große Appetit. Kerstin kennt den Euro-Club bestens. Wir folgen ihr durch eine weitere Tür über eine Treppe in die höher gelegene Etage. Im Gang stehen oder sitzen einige junge Leute, und tippen auf ihren Smartphones herum. Endlich erreichen wir die Bar.

Johannes, Stephan und Marc in F

Ich versuche, in der Dunkelheit das Essen zu inspizieren. „Hm, ist das vegetarisch?“ Der Typ an der Theke schaut mich entgeistert an, kommt aber nicht mehr dazu, meine Frage zu beantworten, denn es klopft mir jemand auf die Schulter. „Da ist er ja!“, ruft eine Stimme von hinten. Ich dreh mich um, da stehen lachend Johannes und Marc vor uns. Umarmung am Ende eines großartigen Ereignisses mit Happy End! Hakan verteilt bereits Bier von der Theke. „Cheers! Auf die Show – und die Freundschaft!“ Wir stoßen an. Entspannung tritt ein. Der Hunger ist vergessen. „Lass uns mal nach nebenan gehen“, drängt Johannes. „Ich zieh mal mit“, deute ich Hakan und Kerstin mit einer Handgeste an. Johannes führt uns durch einen schmalen Korridor in einen Raum mit einer kleinen Bühne. „Euphoooria! Until the e-e-end o-of time…“

Eine hochgewachsene Blondine im goldenen Abendkleid mit hochgesteckten Haaren interpretiert gekonnt Loreens Siegertitel vom Contest in Baku 2012. Die Zuschauer singen begeistert mit. Wir sind dabei. Die „Drama-Queen“ ist eine der bekanntesten und attraktivsten Drag-Queens in Dänemark. Johannes kommt von der Theke und jongliert mit Sektgläsern in seinen Händen. Wir greifen zu. „Cheeers!“ „Ich habe die Drama-Queen schon mal gesehen. Das war bei Song Contest 2007 in Helsinki. Sie singt wirklich sehr gut!“, meine ich zu Johannes. „Na, dann werde ich sie Dir mal vorstellen!“ Als sie das Mikrofon zur Pause ablegt, geht Johannes zu ihr, wechselt ein paar Worte, dann kommen beide auf mich zu. Johannes stellt uns vor. Mit einem neugierigen Blick und freundlichen „Hello!“ reiht sie mir die Hand. Dank der silbernen Plateau-High-Heels ist sie mit mir auf Augenhöhe. Ihr Make-up: ein echter Hingucker! Eine Drag-Queen brauchen mindestens zwei Stunden für ein solches Make-up. „You‘re looking beautiful!“, sage ich zu ihr mit großer Geste. Sie erwidert mit dem Lächeln einer echten Diva und ist bereit für ein Foto. Johannes macht ein paar Schnappschüsse, dann verabschieden wir uns, denn die Queen muss wieder auf die Bühne.

Mich erreicht eine SMS von Hakan: „Wir treffen uns am Ausgang. Der Club schließt gleich.“ Während ich „Ok, komm gleich…“ zurück simse, blicke ich zu Marc und Johannes. „Wir müssen los… Wann treffen wir uns?“, „Ruf mal so gegen Mittag an“, schlägt Johannes vor. „Ok!“ Marc und Johannes führen mich wie Pfadfinder durch Räume, Gänge und Treppenhaus, bis wir den Eingang erreichen. Dort warten bereits Hakan und Kerstin. Als wir den Club verlassen, empfängt uns ein trüb-feuchter Morgen. Auf der Straße keine Autos, dafür aber schon Radfahrer. „Wer kommt um diese Uhrzeit bei Nieselwetter auf die Idee, eine Radtour zu machen?“, geht mir durch den Kopf. „Klar, die fahrradversessenen Kopenhagener!“ Wir steigen in Hakans BMW, der uns schnell und trocken zum Hotel bringt. Vor dem Lift – Umarmungen. Es ist Zeit, Abschied zu nehmen. Hakan und Kerstin reisen noch heute zurück.

Leb dein Leben weiter
Tue so, als wärst du frei
Keiner kann gesehen haben
Was du mir angetan hast
Denn du würdest mich heute nicht kennen
Und du musst es sehen
um zu glauben
Aus dem verglühenden Licht flieg ich
Steige auf wie ein Phönix
Aus der Asche

Songtext: Rise like a Phoenix, Conchita Wurst, Eurovision Song Contest 2014 Autoren: Charly Mason, Joey Patulka, Ali Zuckowski, Julian Maas

Ein heller Blitz schreckt mich auf, dann erklingt die Eurovision-Hymne. Hallo, was ist jetzt los! Tausende Menschen in der Eurovision-Halle applaudieren und wehen mit Fahnen. Eine Gruppe großgewachsener Tänzer bewegt sich elegant auf der Bühne. „Zum Wohl!“, entgegnet Hakan freudig. Klar, da stoße ich doch gerne mit ihm an. Wir haben sehr gut zusammen gearbeitet. Da ist’s mir auch egal, wenn wir im Container sind. Doch bevor ich einen Schluck nehmen kann, huscht Kerstin rein. Sie kommt gerade aus der Maske. Ich staune: „Whow! Schön dezentes Make-up – mit einer festlichen Lockenfrisur. Davon machen wir ein Bild.“ Beim Blick durch den Kamerasucher fixiert mich ein großes Auge – breiter Lidstrich, überdimensionale Wimpern, exotisch verrucht, sexy. Es zwinkert mir einmal zu, dann ist verschwunden…

Ich glaub ich träume. Ach was, kann nicht sein, wir sind doch auf der „Green Copenhagen Tour“. Ich sehe eindeutig Thomas, Kerstin, Sine, Johannes, Hakan und – huch – auch mich. Das ist wirklich komisch! Jacov von Eurovision.tv hat Spaß daran und zeigt beide Daumen hoch. Ich bin müde. Jarmo auch. Wir hängen in den Stühlen. Doch es ist keine Zeit zum Ausruhen. Die Show läuft. Pollapönk heizt dem Publikum ein. „Hm, die tragen auch alle Bart – wo ist das Problem?“, frage ich mich. „Und warum singen die, Scooba-dooba-dap-dap-di-di-die, scooba-dooba-dap-dap-di-di-die, I love you? Hier läuft doch etwas schief.“ „No, the food is excellent!“, betont Bruno. Eine gute Nachricht! Ich hatte doch eben richtig Hunger. Und es stimmt, die Eurovision-Kantine war die ganzen Tage schon sehr gut, auch vegetarisch. Da musstest Du den Koch nur fragen, da öffnete der einen eigenen Küchenschrank und dann gab es lecker Smörrebröd. Zwei außerirdische Gestalten in Badeschlappen stimmen mir zu. Ich muss mich beeilen. Die Arbeit wartet. Wouter zeigt mir die neue 4D-Technik von Eurovisionary.com. Seine Freundin Charlotte hat eine Methode entwickelt, die Geschmacksnerven durch den Sound anzuregen. Pollapönk erhöht beim Zuhören den Konsum von bunten Gummibärchen. Marc von Prinz-Blog ist fasziniert und muss unbedingt darüber schreiben. Ich finde das alles verwirrend. Das Bild schwindet. Es wird finster. Aus der Dunkelheit steigen große feurige Schwingen auf, die sich sanft durch den Raum bewegen. Lichtstrahlen beleuchten im Zentrum eine Person im goldenen Gewand, die ihre Arme hebt. „Gut, dass die 4D-Technik noch im Versuchsstadium ist“, geht es mir durch den Kopf.

„Ding-ding-ding.“ „Hm, was ist das für ein komisches Piepen. Gehört das zum Song?“ „Ding-ding-ding!“ Ich steh kerzengerade im Bett und taste mich zum Handy. „Ding-ding-ding!“ Ich drücke auf Stopp, das Handy verstummt. Puhhh… Ich atme durch und überlege. Was ist mir denn da alles durch den Kopf gegangen?! Ein Blick auf die Uhr. Ach, du Schreck – es ist schon spät! Schnell unter die Dusche, anziehen, Gesicht irgendwie zurechtrücken und auf geht‘s.

Bereit für ein Abenteuer

Nach einer langen ereignisreichen Woche ist es eine gute Idee, nicht gleich zu verschwinden, sondern einen Tag anzuhängen, um Land und Leute kennenzulernen. Johannes hat eine geniale Idee für ein kleines Abenteuer. Darum sitzen Marc, er und ich nun im Zug. Der führt uns an das Nordostende der Insel Seeland, wo sich Dänemark und Schweden fast berühren. Dort liegt die kleine beschauliche Hafenstadt Helsingör, Schauplatz eines sehr bekannten Dramas. Nach 40 Minuten Fahrt treffen wir im Bahnhof ein.

Liebe Herren, ihr seid willkommen zu Helsingör. Gebt mir eure Hände. Wohlan! Manieren und Komplimente sind das Zubehör der Bewillkommung. Lass mich euch auf diese Weise begrüßen, damit nicht mein Benehmen gegen die Schauspieler einem Empfang ähnlicher sehe als der eurige. Ihr seid willkommen!

Hamlet, 2. Aufzug, 2. Szene, William Shakespeare
Ankunft in Hesingoer
Ankunft in Hesingoer

„Eure Majestät Prinz Hamlet, wir sind über alle Massen erquickt angesichts Eurer vorzügliche Begrüßung! Nach einem Abstecher in Ihrer wunderschönen Stadt werden wir Eure Majestät im Schloss Kronborg sehr gerne besuchen.“ Auch schon zu Hamlets Zeiten hatte Helsingör eine wichtige Bedeutung. Der Name bezeichnet die Meerenge zwischen Schweden und Dänemark. Von hier aus ist schon immer der Schiffsverkehr zum Öresund und in die Ostsee kontrolliert worden, um Zölle zu kassieren. So ist die Stadt zu großem Wohlstand gelangt.

Die Innenstadt von Helsingör ist beschaulich. Kleine Gassen laden zum Schlendern ein. Doch heute am Sonntag ist die Stadt wie leer gefegt. Liegen die Einwohner nach der großartigen Contest-Nacht etwa noch im Koma? Wir geben uns mit dieser Erklärung zufrieden und folgen den Spuren skandinavischer Pilger. Vom Bahnhof aus wandern wir zum dem Gebäude, dass die ganze Innenstadt überragt: die Domkirche des heiligen Olaf. Sie wurden etwa im Jahr 1200 errichtet und später erweitert. Darum zeigt die Kirche auch gotische Baustilelemente. Wir rütteln an der Tür. Offenbar hat auch der Vikar gut gefeiert, denn es ist geschlossen. So bleiben wir draußen und ziehen weiter durch hübsche leere Gassen in Richtung Kulturhafen.

Kulturhafen von Helsingör
Kulturhafen von Helsingör

Der Kulturhafen verbindet die Innenstadt mit dem Schloss und ist bautechnisch eine Brücke zwischen Vergangenheit und Moderne. Im Mittelunkt steht ein kulturelles Zentrum mit einem Werftmuseum, einer Bibliothek und einem Konzertsaal. Vor dem Komplex, am Ende eines langgezogenen Anliegers für Schiffe, sitzt einsam und verlassen „Er“ oder auf Dänisch „Han“. „Er“ ist der Bruder zur Skulptur der kleinen Meerjungfrau von Hans Christian Andersen, die sich in Kopenhagen befindet. So wie sie sitzt er auf einem Stein und blickt sehnsüchtig auf die Weite des Meeres.

„Han“ ist provokant, auch ohne Bart. Die Figur erinnert mich spontan an den galaktischen Silberstürmer, der ja auch einsam war. Doch weit gefehlt. Wahrscheinlich ist, dass „Han“ auf Hans Christian Andersen anspielt, der hier einige Jahre verbrachte, und über den spekuliert wird, ob er womöglich homosexuell war. Da sind wir wieder beim Thema Toleranz. „Jeder soll nach seiner Façon selig werden”, sagte schon Friedrich II, König von Preußen. Er hatte Recht. Auch wenn die Diskussionen heute immer noch heftig sein können – ich finde, im Vergleich zu den Zeiten von Hans Christian Andersen sind wir heute bedeutend weiter. Das zeigt ja auch der hohe Zuspruch für den Sieger am Contest.

„Han“ wurde von dem dänisch-norwegischen Künstlerduo Elmgreen & Dragset im Jahr 2012 entworfen und in einer Kooperation mit deutschen Edelstahlwerken produziert. Und damit er heute nicht ganz so einsam ist, klopft Marc ihn tröstend auf die Schulter.

Tor zum Schloss Kronborg
Tor zum Schloss Kronborg

Wir erreichen die Festung „Schloss Kronborg“, Schauplatz des berühmten Dramas „Hamlet“. Um in das Schloss zu gelangen, müssen wir über eine Brücke und das schwere Burgtor durchscheiten. Feinde hatten kaum eine Chance, diese Festung einzunehmen. Wir betreten eine Terrasse vor dem Schloss. Hier könnte es gewesen sein, wo einst die drei Wachleute Johannes, Marcus und Stephanus nach Mitternacht das Gespenst des verstorbenen dänischen Königs umherspuken sahen – und wer das glaubt, sollte den Hamlet vielleicht doch einmal lesen. Die Wachen hießen nämlich Marcellus und Bernardo, und der Dritte im Bunde war Prinz Hamlets Freund Horatio. Als Horatio den Geist sah, nahm er all seinen Mut zusammen und sprach ihn beherzt an:

Schaut wie’s da wieder kommt. Ich kreuz es, und sollt ich mich verderben.
– Steh, Phantom! Hast Du Gebrauch der Stimm‘ und einen Laut:
Sprich zu mir! Ist irgendeine gute Tat zu tun, die Ruh‘ dir bringen kann und Ehre mir:
Sprich zu mir!

Hamlet, 1. Aufzug, 1. Szene, William Shakespeare
Schloss Kronborg – Schauplatz des Hamlet-Dramas
Schloss Kronborg – Schauplatz des Hamlet-Dramas

Horatio hatte wenig Erfolg. Das Gespenst ignorierte ihn einfach. Denn hinter den Mauern des Schlosses geschah ein schreckliches Drama, so dass der Geist des Königs keine Ruhe fand. Er wurde von seinem eigenen Bruder Claudius aus Machtgier ermordet. Prinz Hamlet, Sohn des Königs, hatte eine Ahnung und strebte nach Rache. Er stellte Claudius eine raffinierte Falle und überführte ihn. Doch in seinem Drang nach Vergeltung stürzte er alle Beteiligten ins Unglück – zuletzt auch sich selbst.

Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage: Ob’s edler im Gemüt, die Pfeil‘ und Schleudern des wütenden Geschicks erdulden, oder, sich waffnend gegen eine See von Plagen durch den Widerstand sie enden. Sterben – schlafen – und nichts weiter… Vielleicht auch träumen…

Hamlet, 3. Aufzug, 1. Szene, William Shakespeare

Wem das zu tragisch ist, dem sei gesagt, dass die Geschichte von Hamlet nur eine Legende ist. Angeblich bezieht sie sich auf einen Königssohn namens Amleth, der vor der Zeit der Wikinger, also vor über tausend Jahren, in Jütland lebte. Im Mittelalter, etwa im 12. Jahrhundert, schrieb ein dänischer Mönch die Geschichte auf. Erst etwa im Jahr 1600 griff William Shakespeare den Stoff auf und verlagerte das Geschehen an einen magischen Ort: Schloss Kronborg.

Kein Drama mit uns

Genug der Dramen. Hamlet hätte sicher auch lieber gefeiert, als sich mit der buckligen Verwandtschaft herumzuschlagen. Darum zieht es uns zurück nach Kopenhagen, wo das Nachtleben bald beginnt und wir mitfeiern wollen. Die Kopenhagener sind Nachtschwärmer. Geisterhafte Gestalten gibt es darunter auch. Die sind aber gastfreundlich und trinkfest.

Jetzt ist Party angesagt

In Kopenhagen sind Bars und Cafés bis spät nachts geöffnet, und in den Nachtclubs und Discos dröhnt die neueste Musik bis in die frühen Morgenstunden. Heute Nacht besteht kein Zweifel: es ist noch einmal Eurovision angesagt. Kaum sind wir am Rathausplatz angekommen, ziehen Marc und Johannes schnurstracks in Richtung Studiestræde. Sie wollen ins Jailhouse, eine Szenebar, die auf zwei Etagen wie ein Knast dekoriert ist. Aber der Laden ist nicht „hardcore“, wie es der Name vielleicht vermuten lässt. Die Knasterwärter zapfen Bier und legen die besten Eurovision-Songs auf – alles ganz entspannt. Die „Knasties“ sind fröhliche Eurovision-Fans. Es wird gesungen und getanzt, dass die Zellen wackeln.

“Is it right or is it wrong? I can’t go on, you can’t go on. If you say yes or even no. You don’t know how and where to go.” Der ganze Knast singt im Chor den Elaiza-Song. Und natürlich: It is right! Nach über einer Woche Song Contest, und vielleicht dem einen oder anderen Tuborg-Bier, kann doch kein Juror mehr erwarten, dass alle Noten exakt getroffen werden. Aber dafür geben alle verbliebenen Fans ganz viel Herz. Schließlich ist es soweit: der Song des Abends. „Ahhh“, ein zustimmendes Raunen geht durch das Gefängnis. Dann setzen alle mit ein:

Rise like a phoenix
Out of the ashes
Seeking rather than vengeance
Retribution
You were warned
Once I’m transformed
Once I’m reborn
You know I will rise like a phoenix
But you’re my flame

Songtext: Rise like a Phoenix, Conchita Wurst, Eurovision Song Contest 2014 Autoren: Charly Mason, Joey Patulka, Ali Zuckowski, Julian Maas

Wir haben uns mehrfach gefragt, wie es Conchita inzwischen wohl ergangen ist. Wir hatten sie ja im Euro-Club nicht mehr angetroffen. Erst später stellt sich heraus, dass sie noch am gleichen Morgen die erste Maschine nach Wien genommen hatte. Denn dort wartete auf sie ihr Land mit einem großen Empfang, vielen Fans, Journalisten und TV. Die Geschichte vom Phönix geht weiter.

Mehr Informationen über die sympathische  Conchita Wurst:

Conchita Wurst zu Gast in THEMA, ORF, May 2014

Dokumentation „Conchita Wurst – einfach persönlich“, ORF, Mai 2014

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